Begegnung oder Rechthaberei?

Die Not und die Kriege dieser Welt sind in Gestalt der Flüchtlinge bei uns angekommen. Anstatt auf sie zu zugehen und ihnen Mut zu machen, ist vieles an aufgeblähter Rechthaberei, zu sehen, zu hören und zu lesen. Die Situation ist schwierig und trotzdem:

Aus einer Distanz heraus meine Meinung abzugeben und Urteile zu fällen ist einfach. Ich brauche dazu höchstenfalls Selbstgerechtigkeit. Auf die Flüchtlinge zugehen, in ihre Welt einzutauchen, mitzufühlen, ihnen Fragen stellen und zu versuchen Ihre Situation zu begreifen, ist komplizierter. Ich kann mich nicht mehr hinter meiner »heilen Welt Fassade« verstecken, weil ich mich mit einer, mir unbekannten und fremden Realität konfrontieren lasse. Mein Blickwinkel verändert sich.

In einem meiner Songprojekte mit Schülern einer Realschule und unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen stellte ich den Teilnehmern eine Aufgabe: »Welche Fragen würdet ihr einander stellen?« Eine deutsche Schülerin meldete sich: »Wie geht es Deiner Familie zu Hause?« Mutig und offen antwortete ein etwa gleich alter syrischer Junge: »Ich habe keine Familie. Sie sind getötet worden«.

Beide Teilnehmer des Projekts, etwa sechzehnjährige Jugendliche mit einem Unterschied: Das Mädchen wird nach der Schule von ihren Eltern zu Hause empfangen. Dieses, so wichtige Stück Geborgenheit, hat der Junge aus Syrien für immer verloren.  

Menschen haben eines gemeinsam: Sie blicken nach vorne. Das tun die Flüchtlinge auch. Doch für sie gab es in ihrer Heimat keine Zukunft mehr. Sie müssen in der Fremde völlig neu anfangen und Zukunftsperspektiven entwickeln.

Ich lebe, seit ich denken kann im Frieden. Ich versuche mit den Fähigkeiten, die mir gegeben sind, Flüchtlingen zu begegnen. Vielleicht wird dadurch ein Stück Integration lebendig. Für mich geht es jetzt darum, dem Neuen in Gestalt der Flüchtlinge zu begegnen, der Rechthaberei und der Besserwisserei den Boden zu entziehen. Jetzt kommt es darauf an, ob Werte wirklich tragfähig sind. Was mich traurig macht: Diejenigen, die laut vom Evangelium und seinen Werten gebrüllt haben, reden jetzt vom Untergang. Die Welt hat sich verändert, ob wir wollen oder nicht.  

Markusevangelium. Kap. 4, Vers 21

Er sagte zu ihnen: Zündet man etwa ein Licht an und stülpt ein Gefäß darüber oder stellt es unter das Bett? Stellt man es nicht auf den Leuchter?

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