Bleiben

Bei einem Engagement über mehrere Tage ist mir eine Familie mit ihrem Sohn, er mochte etwa neun Jahre alt gewesen sein, begegnet. An einem der Abende wünschte er sich »Bleiben«, ein Lied von mir, das ich auf einer meiner Pianosolo CDs veröffentlicht habe. Seine Mutter erzählte mir, dass sie es ihm zu Hause immer wieder hören wolle und sie es ihm vorspielen müsse. Als ich ihn an den folgenden Abenden sah, spielte ich die Melodie für ihn.

Am letzten Abend meines Engagements, der auch der letzte des Aufenthalts der Familie war, saß der Junge wieder mit seinen Eltern da und ich spielte »Bleiben« für ihn. Als die Familie dann, es war schön später geworden, aufs Zimmer gehen wollte, fing der Junge zu weinen an. Er wolle nicht gehen, sondern bleiben, sagte seine Mutter noch zu mir. Sie ging mit ihrer kleinen Tochter schon aufs Zimmer. Der Junge blieb noch mit seinem Vater, hörte zu und fing immer wieder zu weinen an. Mit viel Geduld und Liebe redete der Papa mit seinem Sohn, umarmte, herzte und tröstete ihn und versuchte ihm in seiner Trauer über den Abschied beizustehen. Schließlich kamen beide noch einmal zu meinem Piano, verabschiedeten sich und der Junge sah mich an und konnte seine erneuten Tränen nicht verbergen. Was für ein tiefer und berührender Moment. Auch ich sagte noch einmal zu ihm, dass mein Spielen dieses Liedes für ihn in diesen Tagen eine ganz besondere Bedeutung für mich bekommen hatte.

Bleiben, dort, wo ich geliebt bin und geliebt werde. In einer Welt, der Selbstverwirklichung und der manchmal fast schon vorprogrammierten Suche nach Glück, ich könnte auch sagen dem Druck, Glück finden zu müssen, sind es diese Augenblicke, die so klar und einfach und gar nicht »maßgeschneidert« und zielorientiert sind, weil sie bleiben und mich berühren. Ein kleiner Junge, der eine Atmosphäre in der er sich angenommen, geliebt und wohlfühlt, nicht verlassen will. Grundbedürfnisse eines Kindes. Es braucht, gerade in diesem Alter die liebevolle Atmosphäre eines bleibenden Zuhauses und die Sicherheit: »Hier bin und werde ich geliebt.«

Jeder von uns muss früher oder später hinaus in eine Welt, die Ansprüche an uns stellt. Erfolgreich sein, glücklich sein, schön sein, stark sein, cool sein. Trotzdem und davon bin ich überzeugt, wollen wir eigentlich, wie der kleine Junge, bleiben, in einer Atmosphäre des Geliebt seins, abgesehen von allen Ansprüchen von außen.
Als ich ein kleiner Junge von neun Jahren war, musste ich zwei Jahre in einem Heim, der Vorschule der Regensburger Domspatzen in Etterzhausen, einem autoritären Gewaltsystem - einer bitterkalten Welt verbringen. Damals wäre ich so gerne geblieben in einem liebevollen Zuhause des getröstet werdens, wie der kleine Junge, den ich bei meinem Engagement getroffen habe und dessen Tränen mir so viel zu sagen hatte.

"Bleiben", ein Titel aus meiner Pianosolo CD "Berührungen" Link zu I Tunes

"Heimweh" Songvideo über meine Zeit in Etterzhausen Link zum Video

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