Das "Daasub"

In meinen Songprojekten bleiben kleine Ereignisse und Geschichten in meinen Gedanken hängen. Mit einigen Jungs, unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen in Oberstdorf haben wir uns über die Bedeutung des Wortes Vorurteil unterhalten. Die Jungs bezeichneten es in ihrer Sprache als »Daasub«. Was versteht jeder Einzelne von uns darunter, fragte ich in die Runde. Einige antworteten: »Wenn z.B. die Afghanen negativ über die Pakistanis reden, weil es schon immer so war.« Oder, wenn z. B. Leute in Oberstdorf sagen: »Dort wohnen doch die Schwarzen!«, obwohl kein Einziger von den Jungs schwarz ist. Wenn Politiker vom Ende der Willkommenskultur reden und vielleicht noch nie einen Flüchtling herzlich willkommen geheißen haben? Es wirkt bei all diesen Aussagen immer so, als rede der, der vorverurteilt von weit weg und ist dem, über den er urteilt, in Wirklichkeit nie selbst begegnet. Die »Daasubs«, mit denen in diesen Tagen Stimmung gemacht wird, leider viel zu oft, um die eigene Machtposition, die Karriere auszubauen, sind öffentlichkeitswirksam und ziehen Aufmerksamkeit. Dass sie zerstörerisch sind, scheint den Urteilenden nicht wirklich zu interessieren.
 Ich habe mit Mohammad, einem jungen, 16-jährigen Afghanen einen Songtext erarbeitet. Er erzählte mir, dass er sich jeden Tag bewegt, beim Joggen oder bei anderen sportlichen Aktivitäten. Er schrieb sich sofort die ersten deutschen Wörter unseres Textes auf. Erst 6 Monate in Deutschland war seine Grammatik wirklich beachtlich. »Du bist wahrhaftig ein Mensch, der sich bewegt«, sagte ich zu ihm. Ich fragte ihn nach seinen Wünschen und er sagte zu mir, er habe keine, bis ich spürte, dass er meine Frage wohl nicht richtig verstanden hatte. Eine Betreuerin sagte: »Mohammad gewinnt gerne, wenn er bei einem Lauf mitmacht.« Jetzt so hatte ich den Eindruck, hatte er mich besser verstanden. Ja, er habe Ziele, wolle die Sprache besser lernen und bald eine Ausbildung machen. Der Beruf des Kindererziehers würde ihm gut gefallen. Ich fragte ihn, wie ich mir seinen Heimatort in Afghanistan vorstellen könnte. Er antwortete: »Es ist ein kleines Dorf. In der Ferne kann ich die Berge sehen, wenn ich in den blauen Himmel schaue fühle ich mich glücklich.«
Ich habe in dem Gespräch mit Mohammad ein wenig über ihn erfahren dürfen. Was für eine Bereicherung. Ein junger Mensch mit Zielen und Wünschen, einer, der sich bewegt und sich versucht, hier in Deutschland zu integrieren.
Unser kleines Zusammentreffen hat sicher keine Quote gemacht, aber auch keine neuen »Daasubs« produziert. Ich weiß, dass mir das nächste »Daasub« schon bald begegnen wird und es unehrlich von mir wäre, zu behaupten, ich hätte keine Vorurteile. Die hat und davon bin ich überzeugt, jeder von uns. Ich bin dankbar über die Begegnung mit Mohammad. Im Projekt haben wir uns das »Daasub«, das Vorurteil wie eine kleine Maus vorgestellt. Wenn wir uns aufrichtig und zugewandt begegnen, muss sie den Raum verlassen und kann uns keine weiteren Parolen mehr zuflüstern. Die Begegnung eröffnet uns die Möglichkeit, (uns selbst) hinterfragen zu können. Dort, wo viele der jungen Flüchtlinge herkommen, herrscht Krieg. Das Vorurteil ist die kleinste Form davon.

Video zu meinem Song "Afghanistan Peace"

JoJasper · Rollnerstraße 49 · 90408 Nürnberg · Telefon +49 (0)911 / 810 54 45 · jojasper[at]jojasper.de