Wir alle sind Menschen

Auf die Frage, wie es ihm zur Zeit gehe, antwortete ein Jugendlicher: »Ich fühle mich ausgegrenzt, weil ich nicht so aussehe, wie du.« Als Deutscher in Deutschland geboren, aber mit türkischen Wurzeln glaubt er aufgrund seines Namens und seines Aussehens immer wieder Absagen auf seine Bewerbungen zu bekommen. Obwohl er neben der deutschen, auch die türkische und die englische Sprache beherrsche und sich in diesen sogar über Wirtschaftsfragen unterhalten könne, ist ihm bis heute keine Chance gegeben worden, so der Jugendliche. Seit mehr Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, spüre er noch stärkere Vorbehalte gegenüber seiner Person.
»Schuld sind die Fremden, weil sie von denen da oben ins Land gelassen worden sind. An uns denkt keiner mehr!« So und ähnlich ist es immer häufiger zu hören. In Zeiten, in denen »besorgte Bürger« Köpfe von Politikern fordern und in USA ein Mann Präsident geworden ist, der sehr viele, ähnlich denkende mobilisiert und auf seine Seite gebracht hat wird mir der Wert der kleinen, unbeachteten Begegnungen, wie z.B. mit dem Jugendlichen immer deutlicher. In Zeiten, in denen viele ihre Meinung, oft ohne nachzudenken, nur um den großen medialen Moment nicht zu verpassen, veröffentlichen, will ich mir die Mühe machen, einzelne, persönliche Geschichten von Menschen zu hören und bewusst wahrzunehmen. Diese Geschichten sind es, die mich ins Nach und ins Umdenken bringen. Kein Kommentieren von weit weg, von oben herab, egal, ob aus einer politischen oder religiösen Überzeugung heraus. Die direkten Erfahrungen mit Menschen lassen mich die Welt besser verstehen. Eine Haltung des füreinander da seins versucht, die Lebensrealität meines Nächsten anzuschauen, ihr zu begegnen und sie auszuhalten. Das kann nur gelingen, wenn ich mich selbst hinterfragen lasse und meine Grenzen erkenne, weil ich eben nur ein Mensch bin, zerrissen und fragil, zweifelnd und fragend und doch immer wieder glaubend.
Noch während die Entscheidung der Präsidentenwahl in den USA verkündet wurde, brachten sich Strategen auf der ganzen Welt in Stellung. Die Nöte der Menschen wurden einmal mehr »ernst« genommen, unzählige Posts überschlugen sich, Machtansprüche wurden angemeldet. Die Themen der Talkshows waren längst verabschiedet und in den sozialen Medien wussten viele sehr schnell, was »die Wahrheit« ist. Irgendwie alles sehr weit weg und von oben herab, im Hinterkopf die Zahlen und den Effekt der Eigenwerbung. Ich selbst versuchte einmal, die Seite des neuen Präsidenten Donald Trump anzuklicken: »Too much Traffic« lautete die digitale Antwort auf dem Screen. Kein Durchkommen mehr - zu berühmt.
In meine kleine, unbedeutende Welt zurückzukehren, wirkt an dieser Stelle fast lächerlich und trotzdem: Zurück zu dem Jugendlichen aus meinem Songprojekt. Er öffnete mir und den anderen Teilnehmern der Gruppe sein Herz und wir durften daran teilhaben. Weil wir uns begegnet sind, ließ er mich ein Stück an seiner Lebensrealität teilnehmen. Ich durfte von ihm lernen und ihn, abseits von Herkunft, Hautfarbe oder Religion schätzen und lieben lernen.
Wir alle sind Menschen. Dieser Satz beschäftigt mich seit einiger Zeit. Ich könnte auch sagen: Wir alle sind nur Menschen und hinzufügen, das ist auch gut so. Wir sind unterschiedliche Menschen. Wenn ich sagen würde, wir sind gleich würdige Menschen, wäre das, nach dem Gesetz eine richtige Aussage, denn sie ist laut § 1 unantastbar. In der Realität jedoch sieht es anders aus. Es gibt bedeutende und weniger bedeutende, würdigere und unwürdige Menschen, solche, die es »geschafft haben« und welche, denen es Schwierigkeiten macht, ihr Leben auch nur ansatzweise auf die Reihe zu bekommen. Wir alle sind Menschen und rein biologisch gesehen ist diese Aussage richtig. Aus unserem menschlichen Sein heraus machen wir jedoch Unterschiede, filtern und können gar nicht anders, als beurteilen und verurteilen.
Wir alle sind Menschen und doch sind wir begrenzt, reagieren aus den Erfahrungen, unserer eigenen Lebensgeschichte heraus.
Ich bin ein von Gott geliebter Mensch. Jesus ist wahrer Mensch geworden, das ist mein Glaube. Mir ist bewusst, dass diese Aussage von vielen heute nur noch verlacht wird, denn längst haben wir Menschen selbst die Welt in gut und böse eingeteilt. Lohnt es sich anhand dieser, unserer Einteilung noch darüber nachzudenken, dass wir Geschöpfe eines lebendigen Gottes sein könnten? Ich glaube, erst durch das Erkennen meiner eigenen Begrenztheit kann mir bewusst werden, dass ich wirklich »nur« ein sterblicher Mensch bin. In diesem »nur« liegt für mich der Schlüssel, das Geheimnis.

Psalm 103,13/14: Wie ein Vater sich seiner Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über alle, die ihn fürchten. 14 Denn er weiß, was wir für Gebilde sind; er denkt daran: Wir sind nur Staub.
Er weiß um meine, Zerrissenheiten, kennt mein vergängliches Leben. Was für eine tröstliche Botschaft.

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