Der kleine Astronaut

Der kleine Astronaut
Es war einmal ein kleiner Astronaut. Er wollte mit seinem Raumschiff ins Weltall fliegen, um herauszufinden, wo Gott wohnt. Er hoffte, ihm dort oben zu begegnen. Um so höher er flog, desto unbedeutender, erschienen ihm alle irdischen Probleme. Was ihn gestern beschäftigt hatte, verlor hier über den Wolken an Wichtigkeit. Er fühlte sich frei und sorglos. »So soll es bleiben« sagte er sich. Plötzlich sank sein Raumschiff zurück zur Erde.  Aus dem Bullauge bot sich ihm ein schreckliches Schauspiel.  Er schwebte über einem Meer, in dem Menschen in einem klapprigen Boot um ihr Überleben kämpften. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie in den haushohen Wellen ertrinken sollten. In seiner Verzweiflung wollte der kleine Astronaut einen Notruf absetzen. Auf einmal wurde er von unsichtbarer Hand fortgehoben.
Sein Raumschiff hob ihn vor die Fenster eines Wolkenkratzers. In einem Büro saßen zwei Männer an einem Tisch. Sie trugen dunkle Anzüge, weiße Hemden und Schuhe aus feinstem, glänzendem Leder. Der Eine sagte zu dem Anderen. »Mr. Smith, wir können das Wohnprojekt nicht mehr länger halten. Wir müssen es abstoßen, wenn wir noch Geld damit machen wollen. »Was ist mit den Familien, die ihr gesamtes Vermögen in Ihre Häuser investiert haben, Mr. Moneymaker!?« »Life is Life and Time is Money, da können wir nicht an irgendwelche einzelnen Menschen denken. Wir haben einen Auftrag, der heißt: Gewinnmaximierung! Auch wenn die Luft dünner wird: Wir werden das Optimale herauszuholen, ohne Rücksicht auf Verluste. Das ist der Auftrag unserer Anleger Mr. Smith!«
Gerade wollte sich der kleine Astronaut in das Gespräch der beiden Geschäftsmänner einmischen, da wurde er erneut weggehoben.
Er kreiste über einem Wohnhaus, vor dem ein Krankenwagen mit Blaulicht stand. Sie trugen einen Mann aus dem Haus. Eine Frau und zwei Kinder liefenhinterher. Die Kinder weinten und die Frau rief: »Oh Jack, was hast du gemacht!? Wir hätten eine Lösung finden können! Selbst wenn wir das Haus verlieren: Wir bleiben eine Familie!«  
Sie japste, nach Luft schnappend, zu einem der Sänitäter: »Wird er überleben?« »Das können wir jetzt noch nicht sagen. Er nahm eine Überdosis Schlaftabletten. Wenn wir seinen Magen ausgepumpt haben, wissen wir mehr.« Auf der gegenüberliegenden Straßenseite unterhielten sich zwei Nachbarn: »Sie mussten einen hohen Kredit aufnehmen, um das Haus überhaupt finanzieren zu können. Die Firma hatte einen guten Ruf. Niemand rechnete mit einer Insolvenz. Die Börsenspekulationen brachten das Unternehmen zu Fall. Familien, wie die Summers, haben alles verloren, außerdem ist Marc jetzt arbeitslos. Letzte Woche haben sie es ihm mitgeteilt: Du weißt, wie schwer es in diesen Tagen ist, Jobs zu finden.« Der kleine Astronaut wollte zurück zu dem Büro fliegen, den beiden Geschäftsmännern ins Gewissen reden, schon hob ihn das Raumschiff fort.
Er kreiste über einer Stadt aus der ätzender, schwarzer Rauch aufstieg. Menschen rannten in Panik über die Straßen, Häuser stürzten ein. Eine alte Frau, die sich in ein Haus retten wollte, wurde von einem Kugelblitz erfasst. Sie blieb regungslos liegen. Zwei Männer zogen sie in einen Eingang, Raketen schlugen ein. Es herrschte ein Flammeninferno. Andere schrien: »Wir müssen versuchen hier raus zu kommen! Zuerst die Frauen und die Kinder! Hebt sie auf die Lastwagen!« Der kleine Astronaut wollte helfen, wenigstens einen Menschen retten. Eine Rakete raste direkt auf ihn zu. Er versuchte verzweifelt, das Steuer herumzureißen. Er hatte keine Chance mehr. In den Sekunden vor der Detonation lief sein Leben wie im Film an ihm vorbei. Er schrie: »Gott, hilf mir! Wo bist du!? Warum lässt du das zu!? Weshalb müssen alle sterben!? Wieso ich!? Wieso jetzt!  Wieso heute!?« Die Spitze der Rakete war noch einen Meter entfernt. Das war sein Ende, alles wurde schwarz.
Auf dem Bauch liegend  kam er zu sich. Die Erde staubte, in der glühenden Hitze. Die Sonne brannte ihm auf den Rücken. »Wo bin ich? Was ist mit mir geschehen? Wieso lebe ich?« Er blickte auf und sah einen Mann mit einer Dornenkrone auf dem Kopf vor einer Menchenmenge stehen.
Anklagende Stimmen schrien: »Dieser ist schuldig! Er hat Gott gelästert!« Ein anderer erwiderte: »Ich kann nichts falsches an ihm finden.« Eine schreiende Menge rief: »Kreuzigt ihn, kreuzigt ihn!« Wieder andere sagten: »Seine Taten waren nicht böse. Solch ein liebender Mensch ist uns bis heute nicht begegnet, jetzt soll er sterben? Warum? Wo bist du, Gott? Warum greifst du nicht ein? Wir verstehen dich nicht? Warum strafst du nicht die Heuchler?! Warum lässt du das alles zu!? Warum!?«
Schweißgebadet liege ich in meinem Bett. »Wo ist mein Raumschiff? Wer oder was bin ich?« Eines ist klar: Es ist Montag Morgen und ich bin kein Astronaut. Ich hatte einen Traum. Ziemlich gerädert quäle ich mich aus dem Bett, an schlafen ist nicht mehr zu denken. Der Traum treibt mich um , lässt mir keine Ruhe. Ich koche mir Kaffee. Die Geschichte arbeitet in meinen Gedanken. Was ist aus dem Wunsch des kleinen Astronauten geworden? Ich gieße mir eine Tasse Kaffee ein und höre die Sechsuhrnachrichten.
»Guten Morgen, heute ist Montag, der siebte September. Es ist sechs Uhr. Vierzig Menschen verlieren nach einem Terroranschlag in Syrien ihr Leben. Eine Autobombe explodierte vor einer Bushaltestelle. Es liegt mittlerweile ein Bekennerschreiben einer islamischen Terrororganisation vor. Im Mittelmeer sind erneut Flüchtlinge ertrunken. Das überfüllte Boot kenterte. Die Rettungsorganisationen sprechen von mindestens dreihundert Toten. Darunter viele Frauen und Kinder. Niemand wurde gerettet. In Las Vegas hat ein Mann achtundfünfzig Menschen umgebracht und anschließend sich selbst getötet. In Malta ist eine regimekristische Journalistin in ihrem Auto in die Luft gesprengt worden. Gerade erreicht uns eine aktuelle Meldung: Der XYZ - Konzern hat bekanntgegeben, dass er an seinen Standorten in Nord und Süd bis zu zweitausend Arbeitsplätze abbauen will. Die Gewerkschaften haben für heute Demonstrationen angekündet. Die Wetteraussichten.«
Ich schalte das Radio ab, falle müde in meinen Sessel. Ich habe genug, will zurück ins Bett. Trotzdem halte ich mich irgendwie wach, obwohl es mir heute Morgen schwerfällt.
Wenn es einen Gott gibt, wo ist er in all dem Chaos, dem Unglück, den Katastrophen? Ich suche nach einer Antwort, schlage eine Bibel auf. Ich finde eine Stelle im Johannesevangelium.
Joh.14,15 -18 Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten. Und ich will den Vater bitten und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit: Den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein. Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch.
Eine sanfte Ruhe berührt mich.
Gott kommt zu mir, mitten in das Hier und Jetzt, in diese zerrissene Welt? Mein Raumschiff ist kein Traumschiff? Ich kann mir die Welt, in der ich lebe, nicht aussuchen. Trotzdem will er Wohnung in meinem Herzen machen? Was für eine tröstende und befreiende Botschaft. Ich darf seine Liebe annehmen.

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